Wie weit darf Sterbehilfe gehen? Eine Diskussion bei der EKD in Berlin

Podiumsdiskussion bei der EKD in Berlin

Auf dem Podium (von links): EKD-Ratsvorsitzender Nikolaus Schneider, Welt-Redakteur Matthias Kamann, Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und der Mediziner Klaus Kobert. Foto: Rainer Lang

Von Rainer Lang

Die Diskussion um Sterbehilfe ist neu entbrannt. Eine Debatte, die in Deutschland mit einer schweren Hypothek belastet ist. Untrennbar damit verbunden ist der Begriff „lebensunwerten Lebens“ seit der systematischen Ermordung Behinderter während der Nazi-Herrschaft. Vor diesem Hintergrund war die Diskussionsveranstaltung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Berlin wohltuend unaufgeregt. Die Bruchlinien wurden aber schnell deutlich. Deutlich wurde, dass jede Partei ihre Eigeninteressen hat. Während die Bundesregierung der Kommerzialisierung einen Riegel vorschieben will, lehnt die EKD jede organisierte Form der Sterbehilfe ab und warnt vor falschen Signalen. Das sehen auch die Katholiken so.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) verteidigte den vom Bundeskabinett gebilligten Gesetzentwurf. Danach soll kommerziell betriebene Sterbehilfe unter Strafe gestellt werden. Damit will die Juristin allen Bestrebungen, in Deutschland Sterbehilfe als Dienstleistung im gewerbsmäßigen Sinne anzubieten, Einhalt gebieten. Die Ministerin ist überzeugt, dass auch ein Sterbehilfeverein wie der von Roger Kusch, der Mitgliedsbeiträge erhebe, erfasst werde. „Wenn jemand dafür bezahlt wird, ist das kommerziell“. Dies stieß jedoch auf Zweifel beim Publikum.

Auch dem EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider geht der Gesetzentwurf nicht weit genug. In einer Stellungnahme vom 19. November 2012 zur aktuellen Debatte lehnt die EKD jede Form organisierter Sterbehilfe ab. „Alles, was wir gesellschaftlich organisieren, soll der Lebenserhaltung dienen“, so Schneider. Die mit Sterbehilfe und Suizid verbundenen Gewissenskonflikte gehören für ihn „in den Vertrauensbereich von Menschen, die sich nahestehen“. Alles andere führe „in die falsche Richtung“.

Dahinter steht die kirchliche Auffassung, dass „vor dem Gebot Gottes, das das Leben bewahren will und darum das Töten untersagt, Tötung menschlichen Lebens immer ein schuldhafter Vorgang ist“, wie es in der Erklärung des Rates der EKD heißt. Deshalb wird auch die Beihilfe zur Selbsttötung grundsätzlich abgelehnt. In existentiellen Lebenslagen werden Ausnahmen in Einzelfällen akzeptiert. Aber alle institutionalisierten Formen sollen verboten werden.

Schneider räumte weiteren Diskussionsbedarf ein, als die Ministerin auf Abgrenzungsprobleme aufmerksam machte, wenn man organisierte Sterbehilfe unter Strafe stelle. Der Suizid und die Beihilfe zur Selbsttötung seien straffrei. „Wie kann etwas unter Strafe gestellt werden, nur weil es wiederholt geschehe“, fragte sie. Damit seien auch beratende Organisationen betroffen, die in Einzelfällen auch Sterbehilfe leisteten. Hier vermisst sie klare Kriterien.

Der Arzt Klaus Kobert hält die immer stärkere Verrechtlichung des Themas für problematisch. Der klinische Ethiker des Evangelischen Krankenhauses Bielefeld sieht eine gefährliche Tendenz bei Angehörigen, die mit Verweis auf Patientenverfügungen schnell für ein Abbrechen der Behandlung oder der Ernährung plädierten. Darin sieht er „eine gewisse Entwertung des Lebens“. Aus seiner Sicht wird das Thema überbewertet. Todkranken könne man mit den heutigen Möglichkeiten der Palliativmedizin die Angst zu leiden nehmen.

Die Debatte über Sterbehilfe hat übrigens der Moderator der Diskussion, Matthias Kamann, selbst schon kritisch kommentiert. Der Politikredakteur der Tageszeitung „Die Welt“ hat ein Buch zum Thema mit dem Titel „Todeskämpfe“ geschrieben.